"... um Bosnien nicht zu vergessen"
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Emina setzte die Sonnenbrille auf und klemmte sich hinter
das Steuer. Wir ließen den grünen Schatten der Pension, die aus dem Pinienhain
den Hang hinunter schaute, hinter uns. Schon am Morgen lag über der Bucht von
Prapratno ein gleißendes mittelmeerisches Licht. Das Wasser war heute ein
blauer Edelstein, der am Strand an ein Weiß wie von Eierschalen stieß. Es gab
nicht viele Sandstrände an der dalmatinischen Küste, vielleicht zwei oder drei,
und Prapratno besaß einen davon. Emina nahm die entgegen gesetzte Richtung, wir
strebten weg vom Badevergnügen, die Stichstraße bergauf und kippten auch schon
über den Rand unserer Bucht ins nächste Tal. Futsch war das süße Leben.
Ich sagte auf dem Beifahrersitz: „Dobar dan, bitte. Sing noch einmal: Verliebte an der Adria! Nur eine Strophe.“
Ein Blick hinter dunklen Gläsern traf mich. Er dauerte
viel zu lange für diese kurvenreiche Gegend. „Wo denkst du hin! Dieses Auto hat
keine Klimaanlage. Wir werden den ganzen Tag unterwegs sein, und ich bin jetzt
schon fix und fertig.“
Ihre Weigerung war zweifellos vernünftig. Die Sonne glühte
auf der Karosserie und verbrannte das Gras am Straßenrand. Selbst der Fahrtwind
brachte keine Linderung mehr, der Schweiß lief mir aus den Brauen in die Augen.
Emina tat gut daran, mit Atem und Gesang hauszuhalten. Das ganze Land ächzte
unter einer exotischen Hitzewelle, die einen Hammel auf der Weide im
Handumdrehen in einen Spießbraten verwandeln konnte. Dabei spielte das Wetter
in den heftigsten Gegensätzen. In der letzten Woche hatten wir noch alle
gefroren. Ein bitterer Wind war aus den Bergen ans Meer gekommen. Er hatte mir
alle Vorstellungen vom Süden ausgetrieben, was mich einigermaßen ratlos
dastehen ließ, denn für den Juni in Dalmatien hatte ich mir einfach keine
kalten Wetterideen mitgebracht. Diese afrikanische Hitze aber, die nun den Wind
von den klammen serbischen Gipfeln abgelöst hatte, machte den Einheimischen
nicht weniger zu schaffen als einem verirrten Nordlicht; wer konnte, hielt sich
an das Gegenteil von dem, was wir gerade taten: Er blieb zu Hause und verhängte
die Fenster.
Selbst die himmlischen Mächte machten Siesta. Nicht eine
reiselustige Wolke ließ sich auf der blauen Götterbahn blicken.
Wir beide jedoch wollten trotzdem auf der Fernstraße nach
Norden und dann an der Neretva nach Osten abbiegen, um dem alten Karawanenweg
über die sieben Berge ins Landesinnere zu folgen. Wir fuhren von Dalmatien nach
Bosnien, was einen Ausflug und einen Spähtrupp zugleich bedeutete. Später
wollte Atif nachkommen, Eminas Neffe, mit einem Wagen voller Malerinnen. Schade
um das gute Licht für die Malerinnen und ihre Staffeleien, doch morgen war wohl
auch noch ein Funkeln in der Welle und ein heller Tag für die Kunst am Meer. In
jedem Frühjahr organisierte die deutsch-bosnische Lyrikerin und
Textildesignerin Emina Kamber an der Adria, was sie eine Künstlerkolonie
nannte. Ich selbst malte nicht, aber ich schaute mir gern die Bilder an, die
hier entstanden.
Gerade als ich an leere Leinwände dachte, bremste Emina ab
um mich am Wegesrand auf etwas hinzuweisen, einen flachen Hügel mit einem
Friedhof wie im Bilderbuch. „Er ist ganz klein. Das Weitläufige macht nie
Vergnügen.“
Reihen himmelhoher Zypressen, dazwischen eine blütenweiße
Kapelle. Es war ein katholisch-kroatischer Gottesacker. Vielleicht hatte es ihr
diesmal das Spiel von Licht und Schatten angetan, sonst schauten wir doch bei
muslimischen Gräbern vorbei, und sie erklärte mir die reichhaltige Symbolik des
Grabschmucks. Wie übermächtige schwarzgrüne Fingerzeige standen die Bäume da
und verbanden mit ihren Wurzeln und Wipfeln die Sphären von Totenreich und
Himmelreich. Während sie derart die Überlegenheit über den Zufall bezeugten,
bewegten wir Menschen uns auf dem schmalen irdischen Pfad dazwischen.
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Dieser Text ist ein kurzer Einblick aus dem Vortrag. Die Vorträge der Literaturveranstaltung werden zu einer Dokumentation zusammengefasst.
Emina Kamber, Reimer Eilers, Uwe Friesel und Simo Esic
trugen ihre in Bosnien entstandenen Texte zusammen und veröffentlichten das Buch "... und Bosnien nicht zu vergessen"/ Hrsg. Emina Kamber und Uwe Friesel.
Ende des 20. Jahrhunderts erschütterte ein blutiger Bürgerkrieg den Balkan. Bis
heute ist das friedliche Zusammenleben der serbischen, kroatischen und bosnisch-muslimischen
Volksgruppen nicht dauerhaft geregelt. In dieser Situation trafen sich sechs
deutsche und zwei bosnische Autoren auf der kroatischen Halbinsel Peljesac bei
Dubrovnik, um über das Thema „Das Fremde in uns“ nachzudenken und darüber zu schreiben.
Ausflüge
ins benachbarte Bosnien hatten nachhaltigen Einfluss auf ihre Texte. Sie wurden
auf zusätzlichen Treffen in Hamburg weiterentwickelt und schließlich zu einem
Buch vereint.